Pilgergruppe wandelt auf den Pfaden der Heiligen Birgitta durch das Land
Wenn Pilger reisen, lacht der Himmel: Bei strahlendem Sonnenschein ist eine Gruppe Pilger am gestrigen Morgen in Sassnitz gestartet, um auf den Spuren der Heiligen Birgitta zu wandeln. Eine knappe Woche lang legen die kontemplativen Wanderer im Schnitt 25 Kilometer am Tag zurück, bevor sie am kommenden Sonnabend ihr Ziel Tessin erreicht haben werden.

Pilgern, das ist für Heike Seelenbinder mittlerweile zur „Lebensphilosophie“ geworden. „Man bekommt den Kopf frei“, versichert die 52-jährige Rüganerin, die bereits rund 1.300 Kilometer auf Pilgerpfaden zurück gelegt und sich als Pilger-Begleiterin qualifiziert hat.
Was bedeutet Pilgern?
Loslassen, aufbrechen, unterwegs sein, die Mahlzeiten teilen, innehalten und ankommen – das sind die Intentionen der Pilger, die, mit gutem Schuhwerk, Rucksack und regenfester Kleidung, Schlafsäcken und Wanderstäben ausgestattet, zu ihrer Reise aufgebrochen sind. Sie übernachten in einfachen Pilgerherbergen in Bergen, Garz, Stralsund, Franzburg , Tribsees und Tessin und verköstigen sich selbst.
Die Heilige Birgitta von Schweden
Das klingt nicht besonders komfortabel, wird aber wesentlich bequemer sein als die Reise der Heiligen Birgitta von Schweden (1303 –1373). Die achtfache Mutter, die seit frühester Kindheit Visionen gehabt haben soll, hatte sich 1341 mit ihrem Mann Ulf Gudmarsson auf den langen Weg von Schweden nach Santiago des Compostella begeben. Auf dem Rückweg starb Ulf. Birgitta ging nach Rom und gründete den Birgitten-Orden. Noch im Alter von 69 Jahren, wenige Jahre vor ihrem Tod, war sie auch nach Jerusalem gepilgert.
Heute anders als im Mittelalter
Anders als die mittelalterlichen Pilger, die sich in ihrem katholischen Verständnis von Buße und Vergebung auf den Weg machten, wird Pilgern heute eher als spirituelle Erfahrung und als ein Weg verstanden, das Leben zu entschleunigen und innere Ruhe zu finden. „Das hat nichts mehr mit Kirche zu tun, wohl aber mit Gott“, meint Kersten Jens Koepcke, der als Referent im Mecklenburgischen Kirchenkreis in Rostock beschäftigt ist und mit Wilhelm Reichel die Gruppe auf ihrer Tour begleitet.
Warum mache ich mich auf den Weg?
Die zehn Teilnehmer – fünf Frauen und fünf Männer – eint der Wunsch nach innerer Einkehr. Hannah Kirchmeier wandelt zum ersten Mal auf Pilgerpfaden. Die 64-Jährige aus der Nähe von Plau am See hat sich durch einen Vortrag für die Idee begeistern lassen. „Ich freue mich auf die Gemeinschaft und darauf, unmittelbar mitzuerleben, wie die Natur erwacht“, sagt sie. Marianne Nieber aus Sassnitz will in den kommenden Tagen „ein bisschen runterkommen“. Die 58 Jahre alte Sassnitzerin bewegt sich gern in frischer Luft und war bereits im vergangenen Jahr auf dem Jakobsweg von Tessin nach Schwerin dabei.
Der Weg ist das Ziel.?
Wallfahrtsorte gibt es seit der Antike und in allen Weltreligionen. Der Weg zur vermeintlichen Grabstätte des Apostels Jakobus (etwa 8 – 44 n. Chr.) im nordspanischen Santiago ist der bekannteste Pilgerweg in Europa. Seit 1000 Jahren machen sich heilsuchende Pilger dorthin auf. Aber auch in der Vergangenheit schafften nur die wenigsten die lange beschwerliche Reise. Viele beschränkten sich auf Teilstrecken, etwa nach Köln oder Aachen, oder, so Koepcke, „sie ließen pilgern“.
Jakobswege in Mecklenburg-Vorpommern
In MV sind drei Jakobswege ausgezeichnet: die Via Baltica von Swinemünde bis Boizenburg, der Weg der Heiligen Birgitta von Sassnitz bis Roseburg/Büchen und der Baltisch-Mitteldeutsche Weg von Rostock nach Bad Wilsnack. Die Pilgerwege im Land sind mehr als 1.000 Kilometer lang. Sie wurden entlang ehemaliger Klöster und alter Handelswege rekonstruiert. „Man kann vor der eigenen Haustür loslaufen“, sagt Koepcke. „Hier gibt es keine spanischen Verhältnisse“, spielt er auf den Rummel in Santiago an. „Hier ist noch Platz.“
Quelle: Dieser Artikel von Susanna Gilbert wurde in der OSTSEE-ZEITUNG veröffentlicht am 2. Mai 2017